Das vergessene Tal - Mountainbiken im Valle Maira

Der beeindruckenste Aussichtsfelsen im Tal liegt am Einstieg zu den Elva Trails - (c) Christine Kroll

Tief in den südwestlichen Alpen des Piemont liegt versteckt das schmale Valle Maira. Je tiefer man in das lange Tal vordringt, desto schmaler wird die Straße und kleiner werden die Dörfer, bis man sich schließlich in einer anderen Welt wiederfindet. Das “vergessene Tal", wie es die Einwohner selbst nennen, ist eine Sackgasse - der Übergang ins nahe gelegene Frankreich ist nur zu Fuß möglich. Diesem Fakt ist es wohl zu verdanken, dass das Tal bisher vom Massentourismus verschont wurde und wunderbar ursprünglich geblieben ist. In den winzigen Dörfern findet man kleine "Alberghi", die italienische Variante des Bed & Breakfasts, “Agriturismi” für Ferien auf dem Bauernhof und ein paar Campingplätze. Dazu kommen ein paar wenige kleine „Alimentari“ - Tante Emma Läden, in denen die Bewohner des Tals das Nötigste bekommen - und eine Handvoll Restaurants.

Kehrseite der Einsamkeit ist die immer weiter fortschreitende Abwanderung aus dem Tal. Die jungen Leute gehen zum Studieren oder Arbeiten ins nur 100 km entfernte Turin oder wandern nach Frankreich aus und kommen in vielen Fällen nicht mehr zurück. In den zehn Gemeinden leben heute nur noch rund 1.000 Menschen. Zwar hat der in den letzten Jahrzehnten aufgekommen Tourismus die Entwicklung etwas verlangsamt, konnte sie aber nicht stoppen. 

Für Wanderer und Mountainbiker ist das Tal ein Paradies. Sie erwartet eine wunderschöne Natur, klare Luft und authentische Begegnungen mit den wenigen Bewohnern des Tals. Mountainbiker finden im Valle Maira ein fast unvergleichliches Wegenetz aus alten Militärwegen, Forststraßen und schmalen Single Trails. Während die Wege im unteren Tal sanft und flowig sind, wird es weiter oben hochalpin und anspruchsvoll. Es gibt ein paar klassische Touren, man kann hier aber auch noch eigene Entdeckungen machen und sich das Tal selbst erobern. 

Die drei schönsten Touren im Valle Maira
Die wohl bekannteste Tour im Valle Maira führt auf die sogenannten Elva Trails, die ihren Namen der Ortschaft auf der Strecke verdanken. Die kürzeste Auffahrt führt über die Strada Provinziale 104, die kurz vor Ponte Marmora in das enge Elva-Tal führt. Sie ist seit ein paar Jahren wegen Steinschlaggefahr offiziell gesperrt und tatsächlich liegen gleich zu Beginn der Straße einige riesige Felsbrocken und haufenweise Schutt auf der Straße. Einige Radfahrer haben die Sperrung ignoriert, ihre Fahrräder über die massive Absperrung gehoben und sind mutig das Tal hinauf gefahren. Wir haben die zwar längere aber vermeintlich ungefährlichere Auffahrt von Stroppo über Cucchiales und San Martino gewählt. 14 km lang zieht sich die wenig befahrene Straße in angenehmer Steigung bis zum Colle della Cavallina hinauf. Der Nachteil dieser Variante: Wer sich das namensgebende Elva anschauen möchte oder eine Trattoria für die Pause sucht, muss von hier 200 hm auf der Passstraße bergab rollen, die später über einen Forstweg wieder zum Colle San Giovanni hinauf getreten werden müssen, wo der Trail beginnt. Wir haben Elva links liegen lassen und sind gleich zum schönsten Aussichtsfelsen des Tals gerollt, der sich unmittelbar am Traileinstieg befindet. Spektakulär ragt der spitze Felsen über das Elva-Tal hinaus und lädt ein, eindrucksvolle Fotos zu machen und den Ausblick zu genießen. Nach einer ausgiebigen Panoramapause geht es dann über einen mal flowigen, mal anspruchsvollen Trail zurück nach Stroppo. Zu Beginn kreuzt der Trail, der gleichzeitig der Wanderweg zum Colle San Giovanni ist, mehrmals die Straße, dann verschwindet er für eine Weile komplett im Wald. Der Untergrund wechselt zwischen Waldboden und steinigen Passagen, die an alte Karrenwege erinnern. Immer wieder passiert man kleine Dörfer, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, bevor man schließlich in Stroppo wieder den Talgrund erreicht. Insgesamt sind 20 km und 1.200 hm auf dieser Tour zu überwinden.

Eine landschaftlich wunderschöne Tour führt von Acceglio zum Colletto Serasin auf 2.040 m Höhe. Von Acceglio geht es zunächst ein Stück über die Landstraße im Talgrund bis nach Villaro. Hier beginnt die Auffahrt, die zunächst zwar auf Asphalt, aber gleich knackig steil nach oben führt. Es geht vorbei an Viehweiden und winzigen Weilern, bis mit der Querung eines Baches der Asphalt endet und es auf einer schottrigen Forststraße weiter geht. Zum Glück wird es hier etwas flacher, so dass auch die Forststraße noch gut zu treten ist. Man passiert ein Wäldchen und findet sich bald auf einer wunderschönen Hochalm wieder. Im Frühjahr ist die Landschaft ein einziges Blumenmeer vor den schneebedeckten hohen Gipfeln in der Ferne. Knapp 150 hm vor dem Pass, wird die Straße dann zu einem schmalen Wiesenpfad und wir erreichen schiebend den höchsten Punkt der Tour. Der Ausblick vom Colletto Sarasin ist fantastisch, der Blick reicht in alle Richtungen über das Tal bis zu den hohen Gipfeln an der Grenze zu Frankreich. Der Trail ist dann ebenfalls ein flowiger Wiesenpfad, der zur Nordseite des Colles hinab führt. Einige anspruchsvollere steilere Abschnitte stoppen hier und da den Flow, aber insgesamt ist der Trail gut zu fahren. Man passiert einige Almhütten und kreuzt mehrfach einen Pilgerweg und erreicht schließlich in Maddalena wieder die Landstraße, auf der man noch etwa 4 km zurück nach Acceglio treten muss. Insgesamt hat die Tour zum Colletto Serasin damit etwa 21 km und 1.100 hm und punktet mit Panorama und eindrucksvoller Landschaft.

Eine kürzere und einfachere Tour führt von Ponte Marmora hinauf zur Strada Napoleonica. Über eine schmale Straße geht es zunächst entlang eines Baches hinauf nach Marmora. Hier kann man sich bei Bedarf mit einem Espresso stärken oder die Wasservorräte auffüllen. Einige Serpentinen geht es noch auf Asphalt weiter, dann verlässt man bei Borgata Superiore die Straße und folgt einem schmalen Pfad den Hang entlang. Nach etwa 700 hm hat man den höchsten Punkt der Tour erreicht und folgt einem Höhenweg in spaßigem Auf und Ab. Tatsächlich ist an diesem Teil der Tour der Trailspaß am größten, auch wenn ein paar Gegenanstiege überwunden werden müssen. Am Colle dell’ Encuccetta geht es dann schließlich final bergab. Durch dichten Laubwald - und stellenweise tiefes Laub - folgt man einem schmalen Pfad zurück ins Tal und erreicht bei Stropp schließlich wieder die Straße, auf der man noch etwa 3 km bis Ponte Marmora zurücktreten muss. Insgesamt überwindet man bei dieser Tour 20 km und 800 hm, weswegen sie sich gut zum Einrollen und Ankommen am ersten Tag anbietet.

Kurz notiert
Das Valle Maira liegt südwestlich von Turin in den piemontesischen Seealpen. Bis Fossano oder Cuneo führt eine Autobahn, von hier sind es dann noch ca. 60 km auf einer immer schmaler werdenden Bergstraße. Die Saison beginnt hier aufgrund der Höhenlage erst Mitte Juni und endet Mitte September bzw. mit dem ersten Schneefall. Dank der Nähe zum Mittelmeer ist das Klima gemäßigt und angenehm. 

Über den Autor*Innen

Christine Kroll

Mit einer Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau und anschließendem Studium der Tourismuswirtschaft hat Christine nach dem Abitur ihr Hobby Reisen zum Beruf gemacht. Seit über 20 Jahren arbeitet sie als Produktmanagerin bei verschiedenen Reiseveranstaltern. In ihrer Freizeit ist Christine am liebsten draußen. Je nach Saison findet man sie zu Fuß, mit dem Mountainbike oder auf (Touren-)Ski in den Bergen. Egal ob in den heimischen Alpen oder auf einer ihrer Reisen in Europa und der Welt, draußen aktiv zu sein gehört für Christine immer dazu.