Sand unter den Reifen und Prosecco in den Beinen

Start in Treviso - (c) Maren Recken

„Das Faszinierende an der Radregion Treviso ist die Vielseitigkeit, landschaftlich wie konditionell. Hier gibt es Routen für gut trainierte Fahrer, aber auch familientaugliche Radwege. Wir haben das Meer, die Hügelketten des Prosecco oder die Ausläufer der Dolomiten vor der Haustür “, erzählt Radguide Riccardo Trevisi von Treviso.Bike. Der Radveranstalter mit Sitz in Treviso bietet sowohl per App nachzufahrende Individualtouren an, als auch offene Gruppentouren am Wochenende oder nach Radlerwünschen maßgeschneiderte Touren. Uns begleitet Riccardo auf dem Greenway des Sile von Treviso über Jesolo bis in die Lagune von Venedig nach Lio Piccolo und durch die UNESCO Weltkulturerbe Region „Colline del Prosecco di Conegliano e Valdobbiadene“.

Flach, familientauglich, größtenteils als unbefestigter Radweg begleitet der Greenway del Sile den Fluss von Treviso bis nach Jesolo, wo der Sile in die Adria mündet. Praktischer Weise liegen Radverleih und Werkstatt von Treviso.Bike nur wenige Meter vom Fluss entfernt, so dass wir mit unseren geliehenen Gravelbikes gleich auf dem Radweg sind. „Über den Sile haben die Venezianer einen regen Handel betrieben. Mit den sogenannten Burci transportierten sie Waren nach Venedig und Dreckwäsche zurück“, erzählt uns Riccardo, von Zeiten, in denen die Frauen am Flusslauf die schmutzige Wäsche aus Venedig gewaschen hätten. Wenig später gelangen wir zum Cimitero dei Burci, einem der malerischsten Abschnitte auf dem Greenway del Sile. Als die Burci, die flachen Transportkähne, die noch bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verwendet wurden, ausgedient hatten, haben sie auf dem Friedhof der Burci eine ökotaugliche Chance auf ein zweites Leben bekommen. Auf Holzstegen schieben wir unsere Räder durch eine faszinierende Wasserlandschaft, die Teil des Naturparks Parco del Sile ist. Unter uns hat sich zwischen den verrottenden Bootswracken eine schützenswerte Flora und Fauna entwickelt. Sogar eine Schildkröte zeigt sich auf einem im flachen Wasser liegenden Stamm. Statt Hügeln mit steilen Anstiegen und Weinbau, machen hier Wasser und die artenreiche Pflanzen- und Tierwelt die Faszination der Radtour aus.

Nach rund 50 Kilometern erreichen wir Jesolo und fahren weiter Richtung Cavallino-Treporti mit einem Zwischenstopp am Leuchtturm von Jesolo. Obwohl sich die Gravelbikes als optimale Wahl für den Greenway herausgestellt haben, die laufen, wo wir schnell unterwegs sind und gleichzeitig die Unebenheiten unbefestigter Radwege gut wegstecken, geben wir auf den letzten Metern zum Leuchtturm auf und schieben unsere Räder über den Sand. Für die dicke Sandschicht am Strand, sind selbst die Gravelbikes nicht geeignet. Dafür macht das Stück nach Cavallino richtig Lust auf Radfahren am Meer entlang. Auf einem als Holzsteg an der Küste entlang gebauten Radweg rollt es sich angenehme mit Blick auf die Adria bevor es hinter Treporti in die Lagune geht. Hier müssen wir uns die einzige Straße mit Spaziergängern und vereinzelten Autofahrern teilen. Die Flamingos, an denen wir über lange Strecken vorbeifahren haben dagegen ihr Habitat ganz für sich. Einbeinig stehen sie rechterhand der Straße in der Lagune und fischen sich ihr Mittagessen aus dem flachen Wasser. Bike warten, fahren wir noch nach Lio Piccolo. In der kleinen, gerade noch 22 Einwohner zählende Ortschaft scheint die Zeit stehen geblieben und die Welt für „beräderte“ Zeitgenossen zu Ende zu sein. Wer nicht umdrehen möchte, könnte hier in die Fähre steigen und nach Lio Maggiore übersetzten. Wir wählen die Option umdrehen und radeln zurück nach Treporti, wo wir für die Rückfahrt nach Treviso auf den Shuttlebus von Treviso.Bike warten. Obwohl wir am Ende doch 90 Kilometer auf dem Tacho haben, war die Tour  nicht wirklich anstrengend und mit unter 100 Höhenmetern eine echte Flachetappe.

Ganz anders am nächsten Tag: Prosecco im Glas ist ein Genuss, Prosecco in den Beinen eher eine Anstrengung, zeigt in den „Colline del Prosecco di Conegliano e Valdobbiadene“ recht schnell. Wir starten in Cison di Valmarino zu einer knapp 60 Kilometer langen Rundtour durch das Anbaugebiet des Prosecco DOCG. Die Anstiege in den Weinbergen besagter Colline, die in der deutschen Übersetzung so harmlos Hügel heißen, haben es in sich. Nicht umsonst hat Riccardo die Tour „Voralpen und Hügel des Prosecco“ genannt. Steile Betonrampen mit Querrillen oder ein grasbewachsener Saumpfad mit 23 % Steigung zwischen den Weinreben hindurch nach oben fordern auch trainierte Gravelbiker konditionell. Ein Lob auf mein E-Mountainbike, mit dem ich entspannt nach hinauf kurble, notfalls mit maximaler Unterstützung. Spätestens an den zahlreichen Aussichtpunkten trifft man sich sowieso wieder. Valdobbiadene, Guia, Rolle, der vom italienischen Umweltfond geschützte Ortsteil von Cison di Valmarino, oder einfach die typische Proseccolandschaft: Immer wieder entschädigen atemraubende Ausblicke für geschaffte Strapazen und minimieren kommende zumindest psychologisch. Der Mix aus E- und Gravelbikern in einer Gruppe ist kein Problem. Spätestens an einem der zahlreichen Aussichtspunkte trifft sich wieder, wer den Aufstieg entspannt mit Motorunterstützung anstrengungslos gemeistert hat und wer sich mit der letzten Puste nach oben gequält hat, um gemeinsam Ausblick über die Weinberge zu genießen, die sich Hügel an Hügel bis zum Horizont ausbreiten.

2019 wurden die Colline del Prosecco di Conegliano e Valdobbiadene von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, weil die mit dem Weinbau entstandene, mosaikartige Kulturlandschaft so einzigartig ist: schmale, steile, grasbewachsene Terrassen, auf denen bereits seit dem 17. Jahrhundert Wein angebaut wird, kleine Wälder, Felder und versprenkelte Ortschaften. „Der König, der aus mindestens 85% Glera-Trauben gekelterten Prosecchi, ist der Cartizze DOCG. In ganztags sonnenbeschienener Südlage, auf einem einzigen Hügel mit gerade mal 108 Hektar großer Anbaufläche wird er per Hand im sogenannten goldenen Pentagon kultiviert“, haben wir bei der (zugeben nicht der einzigen) Proseccoverkostung an einem der Radtour freien Tage erfahren. Denn auch wenn wir ordentlich in die Pedale treten, der Genuss kommt nicht zu kurz, selbst während der Radtouren nicht.

In der Osteria senz’Oste, dem Gasthaus ohne Wirt, gibt es Leckeres aus der Gegend. Der Standort sei früher nur als Geheimtipp unter Freunden weitergeben worden, erzählt uns Riccardo Trevisi auf dem Weg zu einem Bauernhaus, das Ende des 19. Jahrhunderts zwischen den Weinbergen erbaut wurde. In mehreren Terrassen steigt der Garten an, Hinweisschilder weisen den Weg Richtung Weinkühlschrank und im Inneren ist Selbstbedienung angesagt. An Wände und Decke gepinnte Dankeszettel zeugen von begeisterten Gästen. „Die Idee der Osteria senz’Oste war der Wunsch des Hausbesitzers, was er produzierte allen und jederzeit zugänglich zu machen. Wer etwas gegessen und getrunken hatte, hat im Gegenzug etwas Geld als Spende dagelassen. Jeder so viel wie ihm Wein, Salami und Käse wert waren“, berichtet Riccardo. Diese Praxis sei nach einigen Jahren dem langen Arm der Guardia di Finanza geopfert worden. Mittlerweile hat alles seinen festen Preis, bezahlt wird in einen Kassentresor. Einen Wirt gibt es nach wie vor nicht, dafür eine Pause mit Ausblick, bevor es weiter geht in Richtung Molinetto della Croda, einer malerischen Wassermühle aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Als wir wieder zurück sind am Ausgangspunkt in Cison di Valmarino haben wir rund 1200 Höhenmeter auf dem Tacho.

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Radverleih und Radveranstalter für selbständige und geführte Radtouren, Shuttleservice möglich. 

Über den Autor*Innen

Maren Recken

Maren Recken ist als freie Journalistin mit Videokamera, Fotoapparat und Notizblock unterwegs. Häufig in Italien, am liebsten im Gespräch mit den Menschen vor Ort; auf der Suche nach einer besonderen Story und einem authentischen Reiseziel. Sie veröffentlicht online und in verschiedenen Tageszeitungen, dreht Videos und erstellt Imagefilme. Während und nach ihrem Germanistikstudium hat sie mit verschiedenen privaten Radio- und Fernsehsendern zusammengearbeitet. Bei La Nazione in Florenz hat sie in der Onlineredaktion erlebt, wie Journalismus in Italien funktioniert.