Der norwegische Herstelle reTyre setzt mit einem modularen Reifensystem auf einfachen Profilwechsel, ohne dass Laufräder ausgebaut und Reifen getauscht werden müssen. Ein einmalig montierter, schneller, glatter Straßenreifen dient als Basisreifen. Je nach Bedarf werden darauf per Reißverschluss verschiedene Laufflächen fixiert. Mit wenigen Handgriffen wird das Asphalt liebende Cityrad so zum schottertauglichen Offroader oder zum sicheren Fortbewegungsmittel auf Eis und Schnee. Unsere Autorin Maren Recken hat getestet, ob das System im Alltag hält, was der Hersteller verspricht.
Wer sein Fahrrad ganzjährig nutzt, kennt das Problem: Die Reifenwahl ist häufig ein Kompromiss zwischen verschiedenen Einsatzbereichen. Das flache Straßenprofil, das für die tägliche Fahrt zum Einkaufen perfekt passt, kommt am Wochenende auf Waldwegen und Schotterstraßen an seine Grenzen. Der MTB-Reifen mit dem richtigen Grip auf nassen Oberflächen oder Wurzeln bringt auf der Straße unnötigen Widerstand. Die winterliche Fahrt auf frisch gefallenem Schnee und vereisten Radwegen wird mit normalen Sommerreifen sowieso zur grenzwertigen Schlitterpartie.
Mein neustes Lieblingsrad ist seit dem letzten Sommer ein E-Bike. Es hat meinem Auto, dem Rennrad und dem Mountainbike den Rang abgelaufen. Ich bin fast nur noch mit der neuen E-Bike-Liebe unterwegs. Als der Winter naht und ich überlege, was die passende Bereifung für Minusgrade und schneebedeckte Straßen ist, die gleichzeitig taugt, wenn die Temperaturen mild bleiben, stolpere ich über eine Werbung: „reTyre ist ein modulares Reifensystem mit austauschbaren Laufflächen und integrierter Zip-On-Technologie, mit der du deinen Reifen in Sekundenschnelle anpassen kannst“, wird ein sogenanntes „3 in 1 upgrade kit“ beworben. Das enthält einen Basisreifen, auf den seitlich rechts und links jeweils ein Reißverschluss aufgenäht ist. Die passenden Gegenstücke der Reißverschlüsse sind jeweils rechts und links an die seitlichen Kanten der Laufflächen genäht. Im beworbenen Kit haben diese ein Gravel- und ein Winterprofil mit Spikes.
Mein Testrad ist ein Centurion E-Fire Sport R2600i mit 28 Zoll Felgen. Der Abstand zwischen dem fest montierten Felgenschloss und dem werkseitig verbauten Reifen, den ich bisher fahre, beträgt rund 1,5 Zentimeter. Ausreichend Platz, damit später auch die Laufflächen, die sogenannten Skins, auf den reTyre Basisreifen passen. Ohne dass sich der Zipper des Reißverschlusses am Felgenschloss verhakt.
Das modulare Reifensystem wird in 26“, 27,5“, 28“ oder 29“ angeboten. Das mir zu Testzwecken zur Verfügung gestellte Bundle kommt passend zu meinen Felgen in 28“. Die Basisreifen mit geschmeidigem, für Asphalt optimiertem Straßenprofil sind Drahtreifen, die sich einfach und ohne jegliches Werkzeug auf die Felgen ziehen lassen. Nur die Laufrichtung muss bei der Montage beachtet werden. Der empfohlene Reifendruck liegt zwischen 2,5 und 4 Bar. Ich pumpe etwas über dreieinhalb Bar in meine neuen Basisreifen und lasse ihnen anschließend die vom Hersteller empfohlenen 24 Stunden Zeit, damit sie sich auf ihr volles Volumen ausdehnen können und die Skins später optimal passen.
Der angesagte Wintereinbruch kommt rechtzeitig zu meinem Reifentest. Zuerst mit leichtem Eisregen, der für spiegelglatte Straßen und Radwege sorgt. Wenig später schneit es. Unter der dünnen Neuschneeschicht bleiben die Eisplatten teilweise erhalten. Ich verbinde die Reißverschlüsse am Nordic Comutter Skin, dem Winterprofil mit 160 Spikes, mit denen am Basisreifen. Die Reißverschlüsse schließe ich, indem ich sie abwechselnd auf beiden Reifenseiten immer wieder ein kurzes Stück zuziehe. So soll vermieden werden, dass sich die Lauffläche einseitig verzieht. Während ich den Reißverschluss immer weiter schließe, ziehe ich die Lauffläche leicht in die Länge. Der Grund: im seitlichen Rand sind Glasfasern verarbeitet, die auf Zug brechen und die Lauffläche so etwas länger machen. Dadurch können Toleranzen des Felgendurchmessers ausgeglichen werden, damit die Lauffläche, wenn der Reißverschluss geschlossen ist, an Anfang und Ende mit den Kanten aneinander stößt. Ein minimaler Spalt an den Stoßkanten macht sich beim Fahren nicht bemerkbar, wie sich später herausstellt. Nur überlappen sollten die geschlossenen Skins nicht, das holpert wie eine Unwucht in einem schlecht aufgezogenen Reifen.
Laut Hersteller soll das Anbringen der Skins nicht einmal eine Minute dauern. Beim ersten Mal bin ich am Vorderrad mit rund zweieinhalb Minuten deutlich langsamer. Weil ich das schwere E-Bike nicht umdrehen und auf Sattel und Lenker stellen möchte, ziehe ich auch die Skin am Hinterrad auf, während das Fahrrad auf dem Boden steht. Wegen des Schutzblechs ist das etwas umständlich, die benötigten knapp fünf Minuten liegen weit über der angegebenen Zeit. Mit etwas Übung und je mehr sich die Reißverschlüsse „einlaufen“, desto schneller geht der Wechsel der Skins. Ein Vorteil: Die Reißverschlüsse sind so konstruiert, dass an den Reißverschlüssen am Basisreifen, die etwas länger sind als die an den Skins, an jeder beliebigen Stelle in einen Zwischenraum auch zwei oder drei Zähne der Reisverschlüsse von den Skins passen. Die minimale Längendifferenz wird so ausgeglichen, die Reißverschlüsse laufen beim Schließen und Öffnen trotzdem leicht. Wie alle Spikereifen sollten auch die Nordic Comutter um die 50 Kilometer auf Asphalt eingefahren werden, um den dauerhaften Halt der Spikes zu gewährleisten.
Das Ergebnis einiger Testfahrten bei Minusgraden auf Schnee mit der Spikeversion, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf trockenen Straßen und matschigen Feldwegen oder Schotterpisten mit dem Gravel Chaser und mit den Basisreifen zum Einkaufen, als es bei um die 12 Grad wieder wärmer wird, fallen positiv aus.
Die Nordic Comutter mit den Spikes bringen auf der geschlossenen Schneedecke ein sicheres Fahrgefühl. Auch bei heftigem Bremsen mit Einsatz der Vorderradbremse bricht das Vorderrad nicht aus. Der Bremsweg ist überraschend kurz. Beim Anfahren drehen die Reifen auch dann nicht durch, als ich die Unterstützung am E-Bike auf Maximum stelle. Selbst kleine Eisplatten unter dem Schnee kann der Nordic Comutter bei entsprechender Fahrweise gut wegstecken. Ist der Untergrund dauerhaft eine spiegelglatte Eisfläche, empfiehlt der Hersteller die Ice Racer Skin mit 300 Spikes. Das bessere Fahrgefühl auf Eis erkauft man sich dann allerdings mit deutlich lauteren Fahrgeräuschen auf Asphalt. Die Nordic Comutter machen auf Asphalt zwar auch Lärm, der ist aber durchaus erträglich. Das Rollgefühl ist erstaunlich weich. Was sicherlich auch an der veränderten Gummimischung liegt, die für die vierte Generation dieser Winterskin entwickelt wurde. Die neue Gummimischung macht die Skin weicher und leichter aufzuziehen.
Auch die Gravel Chaser Skin besteht die Testfahrten mit guten Ergebnissen. Im Vergleich zum reinen Basisreifen, bringt sie ein deutlich sichereres Fahrgefühl und mehr Grip auf Schotterwegen. Während der Fahrt über einen matschigen Wiesenweg, auf dem der Schnee kurz zuvor weggetaut ist, setzt sich die nasse Erde leider überall im Profil fest und bleibt dort auch, als ich auf Asphalt weiter fahre. Das gibt einen kleinen Minuspunkt. Vor allem als ich einige Tage später die Gravel Chaser Skin abziehe, und der mittlerweile eingetrocknete Matsch aus dem Profil bröselt und in der Garage reichlich Dreck hinterlässt. Umso erstaunlicher, dass der Reisverschluss die Fahrten durch den Matsch ebenso gut vertragen zu haben scheint, wie das Fahren im Schnee und auf Straßen mit Streusalz.
Mein Fazit nach den ersten Testfahrten: Die Basisreifen von reTyre bleiben drauf. Die austauschbaren Laufflächen werden künftig regelmäßig benutzt. Das modulare Reifensystem überzeugt, weil es die ganzjährige Alltagsnutzung des Fahrrads ermöglicht. Wenn man erst einmal den Kniff raus hat, wie sich die Reißverschlüsse am besten ziehen lassen, geht das Wechseln tatsächlich sehr schnell, auch wenn das Fahrrad Schutzbleche hat und während des Profilwechsels auf dem Boden steht. Im Sommer kommt die Gravel Chaser Skin im Rucksack mit, wenn Touren anstehen, die über asphaltierte Radwege und unbefestigte Schotter und Matschwege führen. Dann wird sich auch zeigen, wie sich die Reißverschlüsse im Dauereinsatz verhalten, ob sie leicht zu ziehen bleiben oder ihnen Schneematsch, Streusalz und Staub langfristig zu schaffen machen. Für den Halt der Laufflächen auf dem Basisreifen sind sie nur zweitrangig zur Fixierung notwendig. Die notwendige Haftung zwischen Reifen und Lauffläche bringt die Kompression, wenn durch das Gewicht von Rad und Fahrer Gummi auf Gummi gepresst wird. Daher sollte eher höher sein. Im Test waren es etwas über 3,5 Bar bei als Maximaldruck empfohlenen 4 Bar. Das im Vergleich zu klassischen Reifen leicht erhöhte Gewicht, spielt beim E-Bike keine Rolle.
Weitere Informationen
Im Test gefahrene Reifen
reTyre one Drathreifen: obligatorischer Basisreifen mit integriertem Reißverschluss, kann ohne zusätzliche Skins als leicht rollender Reifen auf Asphalt gefahren werden. Gewicht bei 28“: 700g. Preis: 39 € / Reifen
Gravel Chaser Dual Compound Skin Faltreifen: bietet mehr Komfort auf Waldwegen und Schotterstraßen, auch bei Nässe. Die Double-Compound-Gummimischung hat eine härter Mittelfläche und weichere Außenseiten, der Gravel Chaser Skin funktioniert auch bei kühleren Temperaturen bis zu 2 Grad. Gewicht bei 28“: 490g. Preis: 49 € / Skin
Nordic Comutter Winter Compound Skin Faltreifen: Winterreifen mit 160 Spikes, seit dem letzten Update mit verbesserter Gummimischung für kältere Temperaturen auf Schnee und Eis. Zweireihig versetzt angebrachte Spikes aus Wolframcarbid sorgen für perfekten Grip, kann im Winter auch auf Asphalt gefahren werden. Gewicht bei 28“: 590g. Preis: 79 € / Skin. Ein Set mit 50 Ersatzspikes und Tool kostet 20 €.
Der Basisreifen und die beiden getesteten Skins werden aktuell als „3 in 1 upgrade kit“, bestehend aus zwei Basisreifen, zwei Gravel Chaser Skins und zwei Nordic Comutter Skins für 299 € angeboten.
Weitere Skins
Ice Racer Winter Compound Skin Faltreifen: Winterreifen mit 300 Spikes aus Wolframcarbid, die auch auf den Außenstollen angebracht sind. Gewicht bei 28“: 710g. Preis: 89 € / Skin
Trail Rider NXT Skin Faltreifen: MTB-Reifen für Trails, Wurzeln, Steine und nasse Oberflächen. Gewicht bei 28“: 510g. Preis: 45 € / Skin
Die Basisreifen und Skins sind auch für E-Bikes zugelassen. Die Gummimischungen des reTyre One Basisreifen und der Skins sind aufeinander abgestimmt, so dass sie aneinander kleben. Ausreichend hoher Luftdruck ist dafür unerlässlich, Herstellerempfehlung: rund 3,5 Bar.
Montagetipps
Den Basisreifen wie herkömmliche Reifen auf die Felge montieren. Den mit dem empfohlenen Reifendruck aufgepumpten Basisreifen 24 Stunden stehen lassen, bevor die Skins montiert werden. So kann sich der Basisreifen ausdehnen und die Skins sitzen besser.
Um die Skins anzubringen, die Steckteile der Skin-Reißverschlüsse in die Aufnahmen am Basisreifen stecken. Prüfen, ob die Steckteile richtig eingerastet sind, dann die Reißverschlüsse beidseitig im Wechsel in kleinen Stücken schließen. Währenddessen die Skin leicht dehnen, damit am Schluss zwischen Anfang und Ende der Skin nur ein minimaler Spalt bleibt. Abschließend die Schieber der Reißverschlüsse zum Verriegeln gegen den Reifen drücken.
reTyre: Das norwegische Unternehmen hat sich der Entwicklung eines modularen Fahrradreifens verschrieben. 2015 wurde der erste Prototyp in Trondheim entwickelt. Seit 2017 sind die Reifen in Norwegen erhältlich. Die Reifen und Skins werden ständig optimiert. 2018 wurden die reTyre Reifen erstmals online in Deutschland verkauft. Aktuell bewirbt reTyre sein Produkt verstärkt in Deutschland und baut auch den Vertrieb über Einzelhändler und Ketten aus. 2019 gewann das Vorgängermodell des Nordic Comutter, der Winter Traveler Skin, den reddot design award. Bei einem Winterreifentest für Fahrräder 2021 des Schweizer Touring Club wurde der Winter Traveler Skin klarer Testsieger, was Fahreigenschaften und Bremsweg betrifft. Einen kleinen Punkteabzug gab es für das Gewicht.
Weitere Informationen und Bezug zum Hersteller finden Sie hier...
Der Vertriebsweg in Deutschland wird derzeit ausgebaut. Momentan ist das modulare Reifensystem beispielsweise über www.reifen.com zu beziehen.
Über den Autor*Innen
Maren Recken
Maren Recken ist als freie Journalistin mit Videokamera, Fotoapparat und Notizblock unterwegs. Häufig in Italien, am liebsten im Gespräch mit den Menschen vor Ort; auf der Suche nach einer besonderen Story und einem authentischen Reiseziel. Sie veröffentlicht online und in verschiedenen Tageszeitungen, dreht Videos und erstellt Imagefilme. Während und nach ihrem Germanistikstudium hat sie mit verschiedenen privaten Radio- und Fernsehsendern zusammengearbeitet. Bei La Nazione in Florenz hat sie in der Onlineredaktion erlebt, wie Journalismus in Italien funktioniert.