Stadt, Tal, Pass – Auf den Spuren des Eisenerzes

Chichimela - (c) Maren Recken - (c) Maren Recken

„Eigentlich bereue ich nur, dass wir nicht schon viel früher hergekommen sind. Es ist ein so friedlicher Ort“, lacht Francesca Dioni und berichtet, wie sie vor über zehn Jahren während eines Spaziergangs hier in den Bergen oberhalb von Bovegno stand - zwei kleine Kinder an der Hand, den Mann im Schlepptau, vor sich eine grandiose Aussicht ins Val Trompia - und beschlossen hat noch einmal neu anzufangen. Chichimela hat die ehemalige Buchhalterin aus Brescia ihr kleines Paradies getauft, wie der Spitzname der jüngsten Tochter. Ein landwirtschaftlicher Betrieb mit zwei Gästezimmern, der sich auf Heidelbeeranbau spezialisiert hat und daraus leckere Marmeladen und Säfte herstellt. Wer das Agriturismo heute sieht, kann sich nur schwer vorstellen, dass hier nur ein verfallenes Haus stand, zu dem nicht einmal eine Straße führte, als Francesca und ihr Mann ihre Jobs für ihren Traum aufgaben.

Wir sind mit dem Rad hergekommen, am Fluss Mella entlang das Val Trompia hinauf. Bequem batterieunterstützt auf dem E-Bike. Vor allem für weniger trainierte Radler eine gute Entscheidung, angesichts der knapp über 1.000 Höhenmeter, die wir während unserer über 40 Kilometer langen Tour das Tal hinauf auf den Tacho gestrampelt haben. Selbst der steile Anstieg von Bovegno nach Chichimela wird auf dem E-Bike zum Kinderspiel.

Gemeinsam mit dem Valle Camonica und dem Valle Sabbia gehört das Val Trompia zu den Tre Valli, den drei brescianischen Gebirgstälern, und verbindet Brescia mit dem Passo del Maniva. Das Tal ist geprägt durch seine faszinierende Natur und die reichen Eisenerzvorkommen. Diese haben einst die Industrie ins Tal gebracht. Jahrhunderte lang wurde Eisenerz abgebaut und noch im Tal verarbeitet. Besonders erfolgreich haben sich dort die Waffenhersteller angesiedelt. Beretta, als einer der bekanntesten, produziert seit dem 16. Jahrhundert bis heute in Gardone Val Trompia. Die originale Nachbildung eines historischen Gewehrs durch die im selben Ort ansässige Firma Pedersoli hat es bis nach Hollywood geschafft: in den Oskar prämierten Historien-Western-Thriller „The Revenant – Der Rückkehrer“ mit Leonardo DiCaprio.

Das touristisch bisher wenig frequentierte Val Trompia ist eine spannende Mischung aus Natur und Industriekultur. Die vor Jahrzehnten stillgelegten Eisenerzminen und die Hochöfen sind als Besucherbergwerke und Museen zu neuem Leben erwacht und sollen die Touristen ins Tal bringen. Bevor wir im Gänsemarsch den Gleisen der Lore folgend den zweieinhalb Kilometer langen Besucherstollen des Schaubergwerks Sant’Aloisio in Colli betreten, zeigt Bergwerksguide Sara Gipponi wie die Lampen an unseren Helmen funktionieren. „Drinnen herrscht absolute Dunkelheit, das macht den Besuch authentischer“, erklärt Sara und berichtet: „bis 1986 wurde in der Mine auf zehn Ebenen Eisenerz abgebaut.“ Besonders beeindruckend sind ihre Schilderungen der harten Arbeit unter Tage, die bis in die 50iger Jahre ohne jeden Arbeitsschutz erfolgte. Und der Moment, als sie uns bittet die Helmlampen auszuschalten und stattdessen eine Karbidlampe, wie sie die Arbeiter in den Bergwerken einst verwendeten, entzündet. Nur um sie kurz darauf wieder zu löschen. Wir stehen in kompletter Dunkelheit und erfahren von Sara, dass die Bergleute, wenn die Karbidlampe nicht mehr funktionierte, im feuchten stockdunklen Stollen ausharren mussten, bis die nächste Schicht mit ihren Lichtern den Weg nach draußen ausleuchtete. Wir sind froh, dass die Batterien unserer Helmlampen neu sind und wir nicht ohne Licht auf Rettung warten müssen. Ebenso wenig wie bange Stunden in absoluter Dunkelheit, hätte uns die Arbeit im Hochofen „Frono Fusioro“ in Tavernoe sul Mella gefallen. „Die originalgetreu erhaltene Anlage ist einzigartig in Europa“, erfahren wir beim Besuch und bekommen auch erklärt, dass früher ganze Familien eng zusammengepfercht in wenigen Zimmern am Fuße des Hochofens gelebt haben, weil dieser ein halbes Jahr Tag und Nacht durchgeheizt werden mussten, damit der Schmelzprozess nicht unterbrochen wurde. Die restlichen sechs Monate verbrachten die Familien der Arbeiter in den umgebenden Wäldern, um das für die Befeuerung des Hochofens notwendige Holz zu schlagen.

Die Natur-Seite des Val Trompia steht in großem Kontrast zu den Relikten aus der Zeit, als hier noch aktiv Eisenerz gewonnen und weiterverarbeitet wurde. Nicht nur, weil wir für eine Wanderung am Passo Maniva den kurzen Raddress vom Vortag mit allen warmen Pullovern und Jacken, die im Koffer waren, getauscht haben. Während unserer Übernachtung auf der Passhöhe haben ein Gewitter mit Hagel und der erste Schnee bereits Mitte September für Temperaturen kurz über dem Gefrierpunkt und eine „Puderzuckerschicht“ auf den Bergwiesen gesorgt.  Zu Fuß geht es von der knapp über 1600 Meter hohen Passhöhe des Maniva-Pass noch weiter nach oben in die Berge. Wir wandern zu den Wasserfällen, die „Cascate del Maniva“ und zum Lago Dasdana. Ein idyllisch gelegener Hochsee, der zum Fischen genutzt wird. An das Eisenerz erinnern hier oben nur die Einschlüsse im Gestein auf dem Wanderweg, keine Hochöfen oder Bergwerke. Beim Aufstieg mit Gegenwind und drei Grad, wünschen wir uns das E-Bike und die über zwanzig Grad vom Vortag zurück. Unser Guide Andrea Pagliari, Gründer der Outdooragentur Mille Monti, der uns am Vortag bereits mit den Rädern begleitet hat, erklärt uns jetzt die Besonderheiten in den Bergen am Maniva Pass. „Der Monte Dasdana ist ein außergewöhnlicher Punkt“, erzählt er, während der Vesperpause am Dasdana See und deutet auf die Bergspitze. „Dort treffen die drei Bergtäler der Provinz Brescia zusammen. Das Val Sabbia, in dem der Lago Dasdana liegt, das Val Camonica und das Val Trompia durch das wir von Brescia aus zum Maniva Pass gekommen sind“. Wir belassen es für dieses Mal bei der Erkundung des Val Trompia, dort gibt es zwischen Industriekultur und Natur genug zu entdecken.

Weitere Informationen
Allgemeines

Radweg
Die Fahrt von Brescia nach Bovegno ist Teil des Greenway, ein Radwegenetz mit über 3.500 km in den Tälern Val Trompia und Val Sabbia. Um nach Chichimela zu gelangen, in Bovegno der SP 345 Richtung Passo Maniva folgen, dann nach links in via D. Brentana, nach rechts in Via Angelo Canossi, wieder rechts in Via Circonavallazione Aldo Cibaldi, links in Via delle Fonte und links in Via Fassole bis Chichimela.

Schaubergwerk
Für die Führung festes Schuhwerk und eine warme Jacke mitbringen. Temperatur im Bergwerk ganzjährig bei acht Grad. Neben der Führung durch die Stollen, gibt es beim Bergwerk einen Abenteuerpark: angeseilt geht es auf Hängebrücken und über Schwebebalken durch die Außenbereiche des ehemaligen Bergwerks.

Historischer Hochofen

Agriturismo    
Wer den Anstieg von Bovegno aus scheut, der auf Heidelbeeranbau spezialisierte Betrieb bietet ab Bovegno einen Shuttleservice auf Anfrage. Verkostung regionaler Produkte. Einkehrmöglichkeit während der Radtour in Lavone di Pezzaze. Zusammenschluss von kleinbäuerlichen Betrieben, die ihre lokalen Produkte vermarkten.

Wanderung Maniva Pass
Über die Outdoor Agentur in Brescia können Wanderguides gebucht werden.

Über den Autor*Innen

Maren Recken

Maren Recken ist als freie Journalistin mit Videokamera, Fotoapparat und Notizblock unterwegs. Häufig in Italien, am liebsten im Gespräch mit den Menschen vor Ort; auf der Suche nach einer besonderen Story und einem authentischen Reiseziel. Sie veröffentlicht online und in verschiedenen Tageszeitungen, dreht Videos und erstellt Imagefilme. Während und nach ihrem Germanistikstudium hat sie mit verschiedenen privaten Radio- und Fernsehsendern zusammengearbeitet. Bei La Nazione in Florenz hat sie in der Onlineredaktion erlebt, wie Journalismus in Italien funktioniert.