Viele haben es noch vor Augen, Blechlawinen wälzen sich über den Brenner um nach langen Staus und genervten Eltern viele Stunden später den Campingplatz oder das Hotel in Caorle , Bibione, Jesolo oder einem der anderen Badeurlaubsziele in der Lagune von Venedig zu erreichen. Badeurlaub war damals in den 70er und 80er Jahren das ‚must do‘ in den Sommerferien und zuhause warteten Schulkameraden um neidische Blicke auf meine Muschel-Kollektion zu werfen.
Niemals hätte ich damals gedacht, dass ich die Region viele Jahre später mit dem Fahrrad erkunde und neu entdecke. Natürlich spielt der Badeurlaub im Sommer hier noch immer eine wichtige Rolle, doch längst ist der Aktivurlaub im Gebiet zwischen der nördlichen Lagune Venedigs im Westen und der Lagune von Caorle im Osten ein ganzjähriges Paradies für Radurlauber. Dank zahlreicher Investitionen der Kommunen in ein Radwegenetz und neuen Projekten von Interessensverbänden wie den ‚Adria Bikes Hotel‘ trifft man heute auf eine tolle Fahrradinfrastruktur und sehr gut organisierten Angeboten für Fahrradtouren.
Ein guter Grund sich nach all den Jahren wieder auf den Weg in die Lagune zu machen. Ganz entspannt habe ich eine Zugfahrt von München nach Venedig gewählt. Die Fahrradmitnahme im Eurocity funktioniert problemlos, doch hat man auch vor Ort eine gute Auswahl von Bikes mit und ohne E-Unterstützung. Entspannt komme ich so in Ost-Venetien an und freue mich schon darauf am folgenden Tag die nördliche Lagune mit Fahrrad und Boot neu zu entdecken.
Die Auswahl an Radangeboten ist vielseitig. Da gibt es z.B. Tagesausflüge wie den ‚Hemingway Radweg‘ von Caorle über Valle Vecchia nach Bibione, die Radtour ‚Küsteninseln von Venedig‘ oder eine mehrtägige Radtour auf dem ‚Nordadria Radweg‘ von Venedig nach Triest und weiter ins kroatische Porec.
Ich habe mich für die Tagestour ‚Girolaguna‘ entschieden. Eine Radtour, die von den ‚Adria Bikes Hotel‘ in Zusammenarbeit mit ‚SlowVenice‘ zusammen gestellt wurde. Mit 6 weiteren Radlern treffen wir im Badeort Jesolo unsere Naturführerin Luana von ‚SlowVenice‘, die uns auf der Radtourenkarte einen ersten Überblick über unsere heutige Tour gibt. Dabei erzählt sie uns in sehr gutem Deutsch: „Die Landschaft, durch die wir heute fahren ist durch Landgewinnung entstanden. Kanäle und Flüsse werden uns heute den ganzen Tag abwechslungsreich begleiten.“
Den Radwegen folgend fahren wir zunächst Richtung Jesolo Paese, wo bereits ein Eiswagen mit cremigem Gelati lockt. Dort verlassen wir die Radwege entlang der Bundesstraße und fahren auf kleinen Straßen neben den Kanälen weg vom Trubel der Stadt. Abwechslungsreich ist die Landschaft, landwirtschaftliche Nutzflächen wechseln sich mit kleinen Auwäldern ab, Kanäle mit größeren Wasserflächen und schließlich geht es zwischen Weinstöcken hindurch zum ‚Country House Salomè‘ wo wir bei Fruchtsaft und Espresso eine kurzen Stopp einlegen.
Weiter geht es auf Schotterstraßen. Die Stille der Natur nimmt uns endgültig gefangen. Das Rauschen der Wälder, der Duft der Lagune, das Zwitschern der Vögel und das Farbenspiel der Blumen sind für die kommende Stunde unsere Begleiter. Hinter jeder Biegung ändert sich das Bild. Luano erklärt uns: „Wir bewegen uns hier im Gebiet der ‚Valli di pesca‘. Dies sind Wasserflächen, die durch Dämme von der offenen Lagune abgetrennt wurden, um die Fischpopulation zu vergrößern. Trotzdem kann man hier nicht von einer Fischzucht sprechen, da diese hier ausnahmslos wild leben.“
Inzwischen ist es Zeit für einen ausführlichen Lunch, denn auch wenn es meist flach dahin geht haben wir bereits einige Kilometer in den Beinen und Appetit auf regionale Köstlichkeiten aus der Lagune. So machen wir Rast am idyllischen Gasthaus ‚Agriturismo La Barena‘, wo wir mit Krebsen und Fischen aus der Lagune verwöhnt werden. Natürlich darf ein guter Hauswein in Italien zu keiner Mahlzeit fehlen.
Gut gestärkt geht es weiter. Zunächst verladen wir unsere Fahrräder auf einem Boot von ‚Blue Dream‘, das uns im Anschluss in einer viertel Stunde durch die Lagune nach Cavallino bringt. Während der Fahrt erleben wir die Lagune aus einer weiteren Perspektive hautnah. Die jodhaltige Luft bringt uns in einer leichten Prise den Geruch von Meer und Salz. „250 verschiedene Vogelarten leben über das Jahr gesehen hier“, so Luana, „manche bleiben hier das ganze Jahr, andere sind nur im Sommer hier und wieder andere überwintern in der Lagune. Eine Birdwatching-Tour macht zu jeder Jahreszeit Sinn und Spaß.“ Wir begegnen Fischer und sehen die verschiedenen Fangnetze im und außerhalb des Wassers. Ein Paradies für jeden Liebhaber guter, frischer Fischküche.
In Cavallino schwingen wir uns wieder auf die Sättel unserer Drahtesel. Der Radweg folgt nun dem Casson-Kanal und erreichen die ‚Tore von Cavallino‘. „Diese Schiffschleuse ermöglicht es den Booten den unterschiedlichen Wasserstand zwischen Lagune und Fluss zu überbrücken“, erklärt uns Luana, „nur eine von vielen technischen Einrichtungen entlang der alten venezianischen Küstenwasserstraße von Venedig nach Triest.“ Beeindruckt von dem Erfindertum vor vielen hunderten von Jahren erreichen wir das Ziel unserer heutigen Radtour.
Auch, wenn ich die Region bereits als Kind besucht habe, mir ist, als hätte ich die Lagune zum ersten Mal bereist. Italienisches Feeling, regionale Kulinarik und eine von Menschen geschaffene Kulturlandschaft mit einer außergewöhnlichen Flora und Fauna beeindrucken sicherlich alle Aktivurlauber, die diese Region mit dem Fahrrad entdecken möchten. Diesmal habe ich keine Muscheln mitgebracht doch möchte ich mit den Bildern in der folgenden Galerie Appetit auf einen Radurlaub in Ost-Venetien machen.
Weitere Infos
Anreise mit der Bahn ab München mit dem Eurocity www.bahn.de und www.oebb.at
Unterkünfte, geführte Radtouren, radverleih und vieles mehr ‚Adria Bikes Hotel‘ www.adriabikeshotel.com, info@adriabikeshotel.com, +39 335 6429 438
Transfers vor Ort z.B. mit der ‚Azienda Trasporti Veneto Orientale (ATVO) www.atvo.it
Bootfahrt für bis zu 12 Radfahren und Fahrrädern: www.bluedreamcavallino.com
Natur- und Fahrrad-Guides www.slowvenice.it, info@slowvenive.it
Einkehrmöglichkeiten
Agriturismo La Barena www.agriturismo-labarena.it
Country House Salomè www.countryhousesalome.it
(beide Häuser sind Mitglied bei den ‚AdriaBikesHotel‘)
Über den Autor*Innen
Jörg Bornmann
Als ich im April 2006 mit Wanderfreak an den Start ging, dachte noch keiner an Blogs. Viele schüttelten nur ungläubig den Kopf, als ich Ihnen von meinem Traum erzählte ein reines Online-Wandermagazin auf den Markt zu bringen, welches eine hohe journalistische Qualität aufweisen kann, eine Qualität, die man bisher nur im Printbereich kannte. Mir war dabei bewusst, dass ich Reisejournalisten und Spezialisten finden musste, die an meine Idee glaubten und ich fand sie.