Enztalradweg – Vom Schwarzwald an den Neckar

Enzquelle - (c) Maren Recken

Links im Tal gluckst die noch junge Enz in kleinen Strudeln über bemooste Steine. Rechts steigt die Wiese in saftigem Grün zum Waldrand an. Tannenbewaldete Hänge bis zum Horizont. Vom Rad steigen, einen Schritt in den Wald treten, den Kopf in den Nacken legen: Ganz oben schimmert der Himmel durchs dichte Tannengrün, die Stämme scheinen in unendlicher Länge dorthin zu streben. Nahe dem Ausgangspunkt zeigt sich der Radweg auf den Spuren der Flößer von seiner waldig-wilden Seite. 

Los ging‘s in Gompelscheuer, einem Teilort von Enzklösterle. Auf knapp 700 Metern liegt dort die Enzquelle. Oder besser das, was als solche definiert, wurde: ein aus Sandstein gemauerter Quelltopf. Ganz der Nähe fließen zwei Bäche zusammen und von nun an als „Große Enz“ weiter. Ein Stück flussabwärts wird sich noch die „Kleine Enz“ dazugesellen und der Fluss fortan nur noch „Enz“ heißen. Die Radler haben es in diesem Namenswirrwarr einfacher. Sie folgen dem Flößer auf den Enztal-Radweg-Schildern. In typischer Tracht, mit über kniehohen Lederstiefeln, steht er auf zum Floß zusammengebundenen Baumstämmen und weist den Weg. 

Für rund ein Drittel führt der Radweg auf geschotterte Waldwege, den Rest auf Rad- und asphaltierte Wirtschaftswege oder ruhige Nebenstraßen. Von der bewaldeten Höhe fahren ins Zentrum des Heidelbeerdorfs Enzklösterle. Die kleinen blauen Früchte gedeihen in den umgebenden Tannenwäldern besonders gut. Leider sind sie um diese Jahreszeit noch nicht reif. Wir müssen ohne Naschpause weiter. Noch prägt der Schwarzwald die Landschaft und der Geruch nasser Stämme, mit Enzwasser beregnet und von der Sonne erwärmt, liegt in der Luft. Der stammt von Baumriesen, die am Nasslagerplatz Christophshof, der bereits zu Bad Wildbad gehört, gelagert sind, bevor sie im Sägewerk verarbeitet werden.
Wir rollen durch den Kurpark ins Zentrum von Bad Wildbad. Links ein Prachtbau in neubarockem Stil; das König-Karls-Bad, ehemals Badeanstalt, heute als „Haus des Gastes“ bekannt. Rechts das Palais Thermal, wo in Original-Jugendstilambiente gebadet werden kann. Dazwischen die von kleinen Brücken überspannte Enz. Es wird städtischer: Flanieren statt Baumkronen betrachten, ein Eis genießen. So viele Kalorien, wie am Enztal-Radweg gefuttert werden können, kann keiner auf der familientauglichen Strecke wieder abstrampeln. Daher: Maß halten! Nur wenige Kilometer entfernt, wartet in Höfen schon die nächste Versuchung: Das Hotel Ochsen hat sich Schwarzwälder Kirschtorte im XXL-Format spezialisiert. Über 20 Zentimeter hoch sind Schlagsahne, Biskuitböden und Kirschen geschichtet; verfeinert mit original Schwarzwälder Kirschwasser. Süß, lecker und ziemlich mächtig. Da muss man sich entscheiden: XXL-Torte oder doch lieber ein anderes Schwarzwälder Original. Kurz vor der S-Bahn Haltestelle Neuenbürg Eyachbrücke könnte man nämlich den Radweg geradeaus auf die Autostraße verlassen und direkt hinter den Bahngleisen sofort scharf links abbiegen. Vorbei an Fischzuchtbecken geht es zum Vier-Sterne-Hotel Zur alten Mühle mit seinem Fischspezialitäten Restaurant. Hier wird die Schwarzwaldforelle nicht nur blau oder Müllerin zubereitet, sondern auch entsprechend den EU-Vorgaben für die geschützte geographische Angabe aufgezogen. In den Aufzuchtbecken fließt ständig Frischwasser zu und sorgt für entsprechend Sauerstoff. Die ganzjährig gleichbleibende Temperatur des Quellwassers tut das Ihre dazu, dass Bach- und Regenbogenforellen gesund heranwachsen. Doch genug geschlemmt, zurück auf den Sattel und weiter Richtung Neuenbürg und Pforzheim. 

Tor zum nördlichen Schwarzwald, Goldstadt und ein Trümmerfeld, als am 23. Februar 1945 ein Luftangriff der Alliierten in nur 20 Minuten 98 Prozent der Innenstadt zerstörte. Pforzheim ist eine Stadt mit vielen Facetten, von der Architektur des Wiederaufbaus geprägt.  Der Enztal-Radweg führt mittendurch, streift Theater und Kongresszentrum und bringt die Radler in den Enzauenpark. Das Kinderprogramm: Schuhe aus, Badehose an und ab auf den Wasserspielplatz. Die Alternative für Erwachsene: Das Schmuckmuseum im Reuchlinhaus. Fast ein Muss in der Uhren- und Schmuckstadt. 

Von der Enzquelle bis Pforzheim hat der Enztal-Radweg mit mehr als 400 Metern Höhenunterschied das meiste Gefälle bereits überwunden. Ab jetzt rollt es sich fast eben. Die Weite der kommenden Weinlandschaft hat die Wildheit des Waldes abgelöst. Die Stadt Mühlacker gönnt auch der Enz mehr Platz seit, der Fluss renaturiert und der Hochwasserschutz durch weitläufige Hochufer naturnah neugestaltet wurde. Vom Radweg aus zugängliche Uferbereiche verleiten dazu, die Füße in den Fluss zu hängen. Mit Blick auf die beiden Wahrzeichen der Stadt: Rundfunksender und Burgruine Löffelstelz. 
Zwei Naturschutzgebiete hinter Mühlacker gehören zu den landschaftlich schönsten Teilen des Radwegs. Kaum an den letzten Fachwerkhäusern im Teilort Mühlhausen vorbei geradelt, ragen neben dem Radweg senkrechte Felsen auf. Trockenmauern trotzen der Steillage die Rebanbaufläche ab, Weinbau erzwingt hier Handarbeit und gute Kondition. Seit 2012 ist  das fünfzehn Meter hohe und 600 Meter lange Felsenband Naturschutzgebiet. Es entstand, als sich die Enz in einer großen Schlinge 70 Meter tief in den oberen Muschelkalk gegraben hat. Nur wenige Kilometer weiter bei Roßwag wird im Naturschutzgebiet Enzaue noch heute ein Bewässerungssystem genutzt, dessen Konstruktion bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück reicht. Die Einheimischen nennen die Enzaue „das Tal“. Regelmäßig nach dem ersten Grasschnitt ist im Tal Land unter: Rund 7 Kilometer meist fast unsichtbare Gräben werden geflutet, einströmendes Enzwasser verwandelt die Wiesen in eine weitläufige Wasserfläche. Die Wiesenwässerung ist eine jahrhundertealte Methode, die Gras und Kräuter selbst in trockenen Sommern spießen lässt. Nebeneffekt: Der Weißstorch stakst gleich dutzendweise auf Futtersuche durch die gefluteten Auen. Es wird nicht die einzige Begegnung zwischen Radlern und Federvieh bleiben. 

Bei Oberriexingen führt die Route mitten zwischen Gänse, Enten und Schwäne. Das Federvieh hat die Ruhe weg. Aufgeplustert hat den Radweg als Wohnzimmer okupiert und schnappt nur dann schnatternd Richtung Radlerwaden, wenn deren Besitzer zu schnell in die Pedale treten.

Noch rund 20 Kilometer bleiben bis zum Ziel. Der Enztal-Radweg mäandert hinter Unterriexingen durch ein weitläufiges Wiesental und trifft bei Bissingen auf den Flößerweg. Bis zum Endpunkt in Walheim sind beide Wege fast identisch. Schautafeln informieren über die Enzflößerei, die 1911 ein Ende fand, auch, weil die Schiene das Wasser als Transportweg ablöste. Uns erscheint es fast schon symbolisch, dass der Enztal-Radweg neben dem riesigen Bahnviadukt der Doppelstadt Bietigheim-Bissingen verschwindend klein wirkt. Ein Bootsverleih unterhalb des Viadukts, erlaubt den Blick aus der Wasserperspektive auf die Enz. Wir radeln mit wechselndem Blick auf Bahnlinie und Weinberge nach Besigheim. Das Fachwerk-Städtchen mit mediterranem Flair wurde 2010 zum schönsten Weinort Deutschlands gekürt und lohnt eine letzte Pause. Wohingegen der Zusammenfluss von Enz und Neckar kurz hinter Besigheim nur einen relativ unspektakulären Fotostopp hergibt. Von einem schmalen Radweg aus, die Bundesstraße im Rücken. Zum offiziellen Endpunkt des Enztal-Radwegs und dem Bahnhof in Walheim brauchen wir anschließend nur noch ein paar Pedalumdrehungen.

Infokasten Enztalradweg
Länge: 102,7 km (laut Bikeline Radtourenbuch, auf der Homepage Enztalradweg steht etwas über 100 km, das Verkehrsministerium spricht von 106 km)
Start: Enzquelle Gompelscheuer (Teilort von Enzklösterle)
Ziel: Bahnhof Walheim/Necker
Höhenunterschied: 625m Aufstieg, 1117m Abstieg
Schwierigkeit: leicht bis mittel, familientauglich, meist abseits des Verkehrs, rund ein Drittel auf geschotterten Wegen,  der Rest auf asphaltierten Radwegen und Nebenstraßen.
Durchgehende Beschilderung.  Kann in beide Richtungen gefahren werden.
Sportlich ambitionierte Radler fahren die rund 100 Kilometer leicht in einer Etappe. Aber die Vielfalt verschiedener Kulturlandschaften, die sich auf kurzer Distanz abwechseln, und was es optisch und kulinarisch am Wegesrand zu entdecken gibt, machen den Enztalradweg für zwei Etappen oder gar mehrere, unabhängig voneinander gefahrene Tagestouren interessant. Achtung: Wegen Brückenneubauten im Rahmen des Ausbaus der B 10 und der Enztalquerung der A8 wird der Radweg zwischen Eutingen und Niefern bis voraussichtlich 2026 örtlich umgeleitet, das verlängert den Radweg etwas und bringt zusätzliche Höhenmeter. 

Buchtipp: Bikeline Radtourenbuch „Fluss-Radwege Schwarzwald“, Verlag Esterbauer, ISBN 978-3-85000-808-2, 14,90 Euro

Weitere Informationen finden Sie hier www.enztalradweg.de

Anreise
Per Bahn bis Wildbad, weiter mit dem Bus nach Enzklösterle (nur 1. Mai bis 1. November, nur am Wochenende). Telefonische Anmeldung empfohlen, nicht alle Busse  transportieren Räder. Tel. 07441/860120. Alternativ geht es per Rad auf dem Enztal-Radweg stetig bergauf bis zum Startpunkt in Gompelscheuer (ca. 20 Kilometer).
Außer Enzklösterle sind alle Orte am Radweg per Bahn erreichbar.  
Per Auto: Enzklösterle - Parkplätze bei der Tourist-Info, Walheim – kostenlose Parkplätze am Bahnhof

Einkehr
Schwarzwälder Kirschtorte XXL - Hotel Ochsen in Höfen, www.ochsen-hoefen.de
Schwarzwaldforelle - Hotel Zur alten Mühle in Neuenbürg, www.zordel.de
Zum Hotel gehört auch eine Forellenzucht

Highlights an und neben der Strecke für längere Pausen

Märchen aus dem Schwarzwald
Wer den Anstieg zum Schloss in Neuenbürg nicht scheut, sollte sich die begehbaren Szenen der Ausstellung das „Kalte Herz“ anschauen. Die basiert auf dem Märchen des schwäbischen Dichters Wilhelm Hauf und erzählt vom armen Schwarzwälder Kohlenbrenner Peter Munk, der sein Herz gegen Reichtum und Ansehen tauschte. https://www.schloss-neuenbuerg.de/museum/das-kalte-herz/

Fünftausend Jahre Schmuckgeschichte
Nur ein kleiner Abstecher von der Enz an die Nagold und eintauchen in die kostbare Welt des Schmucks. In der Goldstadt Pforzheim zeigt das Schmuckmuseum im Reuchlinhaus historische und moderne Schmuckstücke. In einem Gebäude aus den 1960er Jahren, das selbst ein (architektonisches) Juwel ist. www.schmuckmuseum.de/index.html 

Auf Spurensuche im Lembergerland
Wie bei einer Schnitzeljagd geht es von den Lembergerland Kellerei in Roßwag mit Ereigniskarten in die Weinberge dem Mythos des 401er Weins auf der Spur, Weinprobe mit kleinen Besonderheiten inklusive. www.lembergerland.de/products/mythos-401

Über den Autor*Innen

Maren Recken

Maren Recken ist als freie Journalistin mit Videokamera, Fotoapparat und Notizblock unterwegs. Häufig in Italien, am liebsten im Gespräch mit den Menschen vor Ort; auf der Suche nach einer besonderen Story und einem authentischen Reiseziel. Sie veröffentlicht online und in verschiedenen Tageszeitungen, dreht Videos und erstellt Imagefilme. Während und nach ihrem Germanistikstudium hat sie mit verschiedenen privaten Radio- und Fernsehsendern zusammengearbeitet. Bei La Nazione in Florenz hat sie in der Onlineredaktion erlebt, wie Journalismus in Italien funktioniert.