Bretagne mit dem Rad – erfrischend anders

Bretagne mit dem Rad auf einsamen Wegen und bei strahlendem Sonnenschein - (c) Flora Jädicke

Die Bretagne steckt voller Überraschungen. Schroffe Küsten, gegen die tosend Gischt schlägt. Auch der wild-mürrische Kommissar Dupin scheint manchem Besucher nicht mehr aus dem Sinn zu gehen. Wir haben den äußersten Nordwesten Frankreichs erfrischend anders erlebt. Ganz ohne Dupin, dafür mit dem Rad auf einsamen Wegen und bei strahlendem Sonnenschein.

Die Sonne steh so gerade über dem Horizont, da sind wir bereits mit dem Zug in Combourg angekommen. Einem typischen bretonischen Dorf mit Natursteinhäusern aus Granit. Hier soll François-René, Vicomte de Chateaubriand seine Jugend verbracht haben“, berichtet unser junger und aufgeweckter Tourguide Marc Böhme. Er wird uns sieben Tage lang stramm voranradeln und darauf achten, dass die Pausen nicht zu lang werden.

Verschlafen wirkt dagegen der kleine Ort. Voll friedlicher Stille. Es ist Sonntagmorgen und das für die Bretagne so typische Licht kündigt einen spätsommerlich heißen Tag an. Allzu sehr sollte man auf solche Wettereinschätzungen jedoch nicht vertrauen, hatten Bretagneexperten gewarnt. Aber wie gesagt: Frankreichs nordwestlicher Zipfel steckt voller Überraschungen. Und es ist nun wirklich kein Geheimnis mehr, dass es hier oben am wilden Atlantik fast ebenso viele Sonnenstunden gibt wie im strahlenden Süden. 2200 Stunden sollen es sein, im Jahr. Eine ordentliche Portion davon haben wir abbekommen.

Für einen Moment fühle ich mich in einem Film mit Jean Gabin versetzt. Ein älterer Herr, der in aller Herrgottsfrühe sein schmuckes Oldtimer-Cabriolet aus der Garage fährt, sieht der französischen Schauspielerikone zum Verwechseln ähnlich. Aber Gabin war Normanne und ich bin mit einem guten Dutzend Radfahrfreunden im Nachbardepartement und suche mir auf dem kleinen Parkplatz im bretonischen Combourg mein Rad für die nächsten Tage aus.

E-Bike oder Drahtesel. Diese Entscheidung sollte möglichst vor der Reise fallen. Ich habe mich für den Drahtesel entschieden. Ein Fehler, den ich bald bereuen werde. Der Sattel drückt, ich keuche die ersten Anhöhen hoch. Die kleine Radlergruppe zieht sich auch schon deutlich auseinander. Ingela und Ute, zwei entzückende Damen aus Hamburg und die Eltern eines bekannten deutschen Filmregisseurs haben sich gleich für das E-Bike entschieden. Vorneweg strampeln ohne solch modische Unterstützung ein Arzt und eine Lehrerin nebst angetrautem Steuerberater. Von solch eifriger Selbstoptimierung ist der größte Teil der Gruppe weit entfernt. Mehr als die Hälfte der Mitreisenden hat sich für das E-Bike entschieden. Eine gute Wahl. Denn die Bretagne steckt wie schon gesagt, voller Überraschungen, auch topografisch. Die Landschaft ist alles andere als eben. Und auch wenn sie an ihrem höchsten Punkt kaum 400 Meter überschreitet, so wellt sich das Land der Bretonen doch in stetigem Auf und Ab dem Atlantik entgegen.

Wir starten weit im Hinterland in Combourg. Die Nacht hatten wir in Rennes verbracht. Einer bezaubernden kleinen Großstadt. Besonders an den Markttagen ist sie voller Leben. Rennes hat den zweitgrößten Wochenmarkt Frankreichs“. Unsere Stadtführerin, eine ausgewanderte Deutsche, beschreibt die beiden großen Markthallen, als habe sie diese selbst gebaut. 380 Stände sind es, mit Lebensmitteln aus dem ganzen Land. Da könne Paris nicht mithalten“, sagt sie. Paris habe den Frevel begangen und die Hallen vor 40 Jahren abgerissen. In der Bretagne aber stehen sie noch. „So sind sie, die Bretonen“, sagt sie. Bodenständig und traditionsbewusst. Frische Austern, Seehecht, Seespinnen und Muscheln aller Art findet man hier. Seeteufel, Seeigel, Langusten und Crevetten. Hier kommt alles auf den Tisch, was die maritime Küche zu bieten hat.

Eine herrliche Gelegenheit sich gleich mit einer bretonischen Ikone vertraut zu machen. Dem Galette. Ein herzhaftes Buchweizencrêpe aus der Bauernküche. Zum Belag gehören Schinken, Käse und reichlich salzige Butter, dazu obendrauf ein Spiegelei. Das ist das Original. Dazu trinkt der Bretone einen Cidre Brut, aus der Steinguttasse. Der Cidre ist so etwas wie der Bruder des normannischen Apfelweins, oft in Eichenfässern vergoren. Crêpes und Galette findet man nicht nur in Rennes sondern an jeder Straßenecke und das zu ganz zivilen Preisen.

Die Fahrt führt gemütlich unter schattigen Bäumen und auf kleinen Wegen nach Dinan. Vorbei an blumengeschmückten Weilern. Entlang des idyllischen Canale d’Ille-et-rance. Die schmale Wasserstraße verbindet Rennes mit Saint-Malo und könnte für die gängigen Bretagne Bilder kaum untypischer sein. Atlantik und Steilküste liegen in weiter Ferne. Hier zeigt sich Frankreichs sonst so rauer Nordwesten von seiner lieblichen Seite. Hausboote schaukeln am Ufer. Kleine Wehre, alle Hundert Meter regeln den Wasserpegel des Kanals, der Anfang des 19. Jahrhundert errichtet wurde, um die Seeblockade der Engländer zu umgehen.

Das mittelalterliche Städtchen klammert sich hoch über der Rance an einen Hang. Im 18. und 19. Jahrhundert florierte hier der Handel mit Segeltuch. Die prächtigen Bürgerhäuser und schnuckeligen Fachwerkbauten machen in der Abendsonne bis heute eine gute Figur. Anders als die schweren Granitbauten an der Küste versprühen sie einen Hauch französischer Leichtigkeit. Der Abend endet mit einer Stadtführung, Straßenmusik und ganz vorzüglichen Muscheln nahe der Rance.

Am kommenden Tag wird es hügelig. Der österreichische Radreiseanbieter Rotalis bietet für größere Distanzen, steile Passagen oder weniger attraktive Strecken eine Busfahrt an. Sie bringt uns am nächsten Tag in das Herz der Bretagne, ins Finistère. Nach einer kurzen Wanderung durch den Wald von Huelgoat, für den Guide Marc die Begegnung mit Elfen, Feen und Kobolden ankündigt, radeln wir weiter nach Morlaix. „Na, da bin ich ja gespannt“, frotzelt einer dem Hintergrund. „Mit uns sind ja schon einige unterwegs.“ Die fröhlichen Geister wollten sich, bei derart despektierlichem Geschnatter, nicht zeigen. Die gewaltigen Eichen und Buchen zwischen moosbewachsenen Granitfelsen aber haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Es ist ein mystisches Land voller Sagen und Legenden. Und den Bretonen sind sie heilig.

In Morlaix nächtigen wir im ehrwürdigen Hotel, L’Europe, das tatsächlich seine beste Zeit gehabt haben wird, als General Charles de Gaulle hier abstieg. Nach der Nacht in historischen Mauern steige ich endgültig um auf das E-Bike, das bis dahin als Ersatz auf dem Service-Bus mitfuhr. Der Service reicht vom Wasserdepot über die Radreparatur, die Suche nach den Koffern von Ingela und Ute, die Air France verbaselt hatte, bis hin zum Mittagessen. Tourbegleiter Thomas Haginger ist immer einige Minuten vor uns am Ziel und bereitet das Picknick vor. Nach dem gehaltvollen Cidre sind die Steigungen tückisch und unser extrem junger Guide gibt gerne eine sportliche Einschätzung weiter. Auch Ingela ächzt zuweilen. Aber die E-Bike-Gemeinde ist mehr als zufrieden. Auch wenn uns gelegentlich doch einer der sportlich- konventionellen Radler überholt.

Spätestens auf der Strecke von Morlaix nach Pointe St. Mathieu ans „Ende der Welt“ weiß ich, das es richtig war umzusteigen. Bis St. Thégonnec geht es stramm bergan und die Sonne gleißt ganz unbretonisch von einem wolkenlosen Himmel herab. In diesem Licht wirken die berühmten Enclos Paroissiaux , die umfriedeten Pfarrbezirke noch imposanter. In den Kalvarienbergen bildeten die alten Baumeister den Leidensweg Christi nach. Ein besonders schönes Exemplar schmückt das Örtchen Guimiliau. Hier befindet sich neben einem der berühmtesten Kalvarienberg der Bretagne auch eine schöne Pfarrkirche aus dem 17. Jahrhundert.

Bevor wir an den beiden letzten Tagen im westlichen und nördliche Finistère auf gut 77 spannenden Kilometern unsere Runden zwischen gigantischen Felsblöcken und Steinen, Wallfahrtskirchen und Menhiren drehen, setzen wir über auf die Île d’Ouessant. Ein windumtostes Eiland gut 90 Minuten vor der Küste des „Ende der Welt“.

Die Insulaner sprechen lieber vom „Anfang der Welt“ scherzt ein alter Bretone, der uns gerne sein karges Haus zeigt. „Vor uns liegen Irland und die Vereinigten Staaten von Amerika“, sagt er. „Das ist eine Frage des Blickwinkels – auch in der Bretagne.“ Die bleibt überraschend bis zum Ende. Birgit und Volker haben den alten Herrn zu einer kurzen Führung überredet. Er erzählt vom Leben und von der Ruhe auf der Insel, die nur vom Wind durchbrochen wird. Bekannt ist sie für ihre braunen Wollschafe und saftigen Salzwiesen, für ihr irisches Flair, tausende Seevögel und weltbekannte Leuchttürme. Am Phare de la Jument vor dem südlichen Zipfel der beschaulichen Insel drehte Philippe Lioret seinen bekannten Film „ Die Frau des Leuchtturmwärters“. Der schönste Leuchtturm der Île d’Ouessant aber ist ihr schwarz-weißes Wahrzeichen der Phare du Ceac’h. Heute beherbergt er ein kleines Museum. Gefährlich sind die Untiefen, Klippen und Riffe vor der Insel noch immer. Wir aber kommen heil wieder zurück ans Ende der Welt und beenden unsere Radreise Tage später mit einem Abend im Bistro von Pointe St. Mathieu. Bei Meeresfrüchteplatte und Wein. Das Flackern der Leuchttürme huscht durch die Nacht und wir genießen das „Ende der Welt“ als gebe es kein Morgen.

Gut zu wissen (Informationen)

Hinkommen
Die Bretagne ist allgemein gut zu erreichen. Mit dem Flugzeug bis Rennes oder Brest. Auch mit dem Zug ist man über die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke von Paris bis Rennes schnell da.

Übernachten
Hotel de l’Europe in Morlaix beherbergt seine Gäste ganz im Geist der Zeit Charles de Gaulles. www.hoteleurope-morlaix.com

Hostellerie de la Pointe Saint Mathieu ist ein modernes, komfortables Hotel mit Restaurant und Spa am nordwestlichsten Zipfel Frankreichs. Die Zimmer sind modern, stylisch bis romantisch. www.pointe-saint-mathieu.com

Sehenswert
Rennes mit seinen Fachwerkhäusern aus dem 15. und 17. Jahrhundert. Die umfriedeten Pfarrbezirke von Saint Thégonnec oder Lampaul Guimiliau. Die Wallfahrtskirche von Le Folgoet oder die Ruine der Abteikirche in St. Mathieu. Absolut sehenswert sind auch die zahlreichen Leuchttürme wie der Pointe de Pontusval, der Pointe de St. Mathieu und die Leuchtfeuer auf und um die Insel Ouessant. Fähre zur île d’Ouessant: Penn ar Bed. www.pennarbed.fr

Reiseveranstalter
Diese Reise wird so von Rotalis Radreisen nicht mehr angeboten. Die Reise durch die Bretagne ist aber auch auf eigene Faust ebenso großartig. Informationen zur Bretagne: www.bretagne-reisen.de

Frankreich-Alternativen führen durch das Périgord und Quercy , Loiretal , von Genf - Turin oder Sternfahrten durch das Burgund oder das Elsass . Der österreichische Radreiseanbieter ist seit gut 40 Jahren am Markt. Die Reisen sind als Genussradreisen gedacht, weniger als sportliche Events. Dennoch sollte man einen gewissen Fitnessgrad verfügen oder gleich ein E-Bike buchen. Wer möchte kann auch sein eigenes Fahrrad mitbringen. www.rotalis.com

Die Reise wurde unterstützt vom österreichischen Radreiseanbieter Rotalis.

Über den Autor*Innen

Flora Jädicke

Flora Jädicke

Flora Jädicke ist aufgewachsen im Ruhrgebiet unweit der niederländischen Grenze. Dort studierte sie Germanistik und Philosophie. Ihre ersten journalistischen Gehversuche machte sie bei der WAZ im Ruhrpott, später bei N24 in der Parlamentsredaktion in Berlin. In Berlin erlebte sie hautnah die Grenzöffnung. Nach zehn Jahren zog es sie von Berlin in die bayerische Provinz und von dort hinaus in die Welt. Dort fühlt sie sich zuhause. Den Journalismus lernte sie bei der - damals - Zeitenspiegel Reportage Schule Günter Dahl in Reutlingen und in den Redaktionen von Tageszeitungen.