Das Weinviertel und die Wachau kennt wohl jeder deutsche Österreich-Liebhaber. Mit den Kenntnissen über das Mostviertel wird es dann schon eng. Es liegt im Westen Niederösterreichs zwischen Donau und der Steiermark und beginnt mit dem „milden“ Mostviertel entlang der Ybbs von der Donau bis Waidhofen. Es wird geprägt durch sanfte und hügelige Landschaften. Dort ist auch die Heimat der Mostbarone. Entlang der 200 Kilometer langen Moststraße gedeihen die Mostbirnen. Spannend für Exkursionen ist das „wilde“ Mostviertel mit der Eisenstraße. Es war das Zentrum der Schmiede, Köhler und Holzfäller. Der Autor hat sich mit dem Rad auf den Weg gemacht, um diese „wilde“ Region zu erkunden. Genauer gesagt auf dem Ybbstalradweg von Waidhofen nach Lunz am See, dem einzigen natürlichen Alpensee Niederösterreichs.
Ideal für ein verlängertes Wochenende
Waidhofen ist der ideale Ausgangspunkt für eine Radtour auf einer historischen Eisenbahnlinie. Es beginnt mit dem Einchecken im Schlosshotel (www.schlosseisenstrasse.at) im Herzen der Altstadt Waidhofen, direkt gelegen am Flussbett der Ybbs. Die modernen Zimmer haben alle einen famosen Ausblick auf das gegenüberliegende Schloss Rothschild, benannt nach dem Bankier Albert Salomon Freiherr von Rothschild, der dort bis 1910 seine Besitzungen verwaltete.
Wenn der Vollmond lacht, erhält die in Blau und Rot illuminierte Fassade der ehemaligen Stadtburg die vergangene Aura des dunklen Mittelalters. Da kommen wir auch schon zum Nachtwächter Mag. Rainhard Kos. Selbiger gehört zur Gilde einer verschworenen Gemeinschaft der Waidhofener Touristenführer. Denn diese führen die Gäste in Abendspaziergängen durch die bewegte und mitunter gruselige Geschichte der Stadt.
Rainhard Kos, im wahren Leben ehemaliger Personalleiter eines großen Austria-Unternehmens, versteht es, die Teilnehmer der nächtlichen Exkursion in den Bann zu ziehen. Er erinnert daran, dass die Region nicht nur durch die Ybbs zu einer der wichtigsten Flusswege der industriellen Vergangenheit gehörte: Waidhofen war bis zum 19. Jahrhundert das Zentrum der Eisenverarbeitung. In der Hochblüte gab es über 200 Schmiedebetriebe.
Besonders wichtig für ihn zu erwähnen, dass das Mostviertel bis zum 12. Jahrhundert zum Erzbistum Freising und München gehörte. Das erklärt wohl auch, dass es zu dieser Zeit harte Gesetze gab. Wie es sich für einen „eisenharten“ Nachtwächter gehört, dirigiert Rainhart Kos in mittelalterlicher Manier die Besucher, auf in den Stadtturm. Dort wird der Besucher zum Zeitzeugen der damaligen Gerichtsbarkeit. Die Exponate belegen eindrucksvoll die damaligen Strafrituale.
Bei Vollmond und über hundert Stufen auf die Spitze des Turmes krächzend gibt es immerhin einen flüssigen Trost zum Abschied: natürlich einen Birnenschnaps aus dem Mostviertel. Und wer Lust hat, kann auch einmal den Kopf in die Hals- oder Schandgeige stecken. Für die Teilnehmer ein schauriges Vergnügen.
Auf den Spuren der Ybbstalbahn
Ohne richtige Brotzeit kann keine ausgedehnte Radtour beginnen. Auf der sonnigen Terrasse des Schlosshotels direkt über der vorbeiplätschernden Ybbs mit Blick auf das Schloss, versorgt uns ein ausgesprochen freundlicher Service das Frühstück nach Mostviertelart. Der Birnenrohschinken ist eine wunderbare Verbindung von Birnenaroma und zartem Rauchgeschmack. Dazu wird der Gaumen mit naturtrübem Birnensaft geschmeichelt.
Jetzt geht es endlich an den Start: auf den Ybbstalradweg. Aus der ehemaligen Bahntrasse, der 1898 eröffneten Eisenbahnlinie von Ybbs an der Donau bis nach Göstling, wurde eine der schönsten Radfahrwege Österreichs. Von Waidhofen an den Lunzer See sind 60 Kilometer Strecke zu überwinden. Für die Radler, immerhin wurden im ersten Jahr der Inbetriebnahme 2017 schon 37000 gezählt, gibt es auf der im Volksmund „Schafkäse-Express“ genannten Strecke unzählige Jausestationen. Die Ybbs immer im Blick geht es entlang spektakulärer Schluchten, über Steinviadukte und einen 87,2 Meter langen Eisenbahntunnel. In Opponitz gönnt man sich am alten denkmalgeschützten Bahngebäude wieder eine Pause. Die Reste der Gleisanlage erinnern daran, wie wichtig die Ybbstalbahn für die Wirtschaftskraft der Region war. Heute profitieren Hotels und Gasthöfe vom Touristenaufschwung.
Wer einmal das kristallklare Wasser hautnah spüren will, sollte unbedingt einen Schwimmstopp im Naturbad Hollenstein (www.freizeitverein.at) einlegen. Auf einer stillen Sandbank verweilend, beobachtet man Angler auf Forellenjagd und genießt die pittoresken Felswände und -formationen, die bisweilen auch bedrohlich wirken können. Da gerade die Rede von Forellen war, man sollte sich auf keinen Fall die Mittagspause im Gasthof Zur Dorfstub´n im Ortskern Hollensteins entgehen lassen. Hier hat sich die Gastgeberfamilie Hiesl mit Humor und Gastfreundlichkeit auf die Bedürfnisse der Radler eingestellt: für E-Biker ausreichend Ladestationen und für Sportskanonen ein vitaminreiches Salatbuffet. Für Gourmets die Ybbstaler Forelle.
Die letzten 28 Kilometer an den Lunzer See verlaufen entspannt. Am Horizont tauchen immer wieder atemberaubend die Berggipfel der niederösterreichischen Alpen – dem Hochkar – auf. Am Ziel angelangt sticht das Smaragdgrün des Alpensees ins Auge. Auf 600 Metern Seehöhe gelegen und an der tiefsten Stelle 34 Meter tief erwärmt sich der Lunzer See kaum auf mehr als 20 Grad. Ein Schild am Bootshaus spricht zwar von 24 Grad. Die Auflösung folgt doch sogleich: Vormittag 12 Grad – Nachmittags 12 Grad. Dann ist es doch romantischer, eine Bootsfahrt auf einem Miet-Elektroboot rund um den See zu unternehmen. Zum Abschluss einer grandiosen Ybbstalbahn-Radtour darf an der Eisdiele gegenüber vom Bootshaus ein großer Eisbecher als Belohnung nicht fehlen. Natürlich Eisvariationen mit Mostviertel-Birnen.
Der Radtransporter-Bus (www.mostviertel.at) sorgt auf der Rückfahrt für die Entspannung der Beinmuskulatur und die Vorfreude auf weitere Exkursionen im „wilden“ Mostviertel.